Die Kunst der Narbe in Berlin: Die Wunde sitzt hoch oben

2022-11-07 17:17:57 By : Ms. xie yun

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„On Silence“, von Kader Attia, 2021. Bild: Kader Attia/VG Bild-Kunst, Bonn

Ist Berlin noch zu heilen? Eine psychologisch gestützte Kunstschau im Gropiusbau verneint das und versucht es zugleich.

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D er Berliner Gropiusbau liegt an der Grenze zwischen den Stadtteilen Kreuzberg und Mitte, nach seinem Selbstverständnis jedoch will er viel lieber zu Kreuzberg gehören. Er besetzt einen Schnittpunkt der historischen Gewaltregime, wo die Berliner Mauer auf die Grundmauern des Gestapo-Hauptquartiers traf. Betrachtet man Berlin durch solch ein Raster der Grenzen, Narben und verlängerten historischen Linien, dann gelangt man zur Formensprache des französisch-algerischen Künstlers Kader Attia, der den Gropiusbau in einer neuen Gruppenausstellung zur geplatzten Naht und klaffenden Wunde dieser Stadt erklärt.

Attia verwendet gebrauchte Bein- und Fußprothesen als Readymades. Er lässt sie von einem Netz aus Drahtseilen baumeln, teils nur einen Meter über den Nasen der Besucher aufgehängt („On Silence“, 2021). Die Prothesen sind Symbole für Wunde und Heilung zugleich, doch was den Menschen letztlich überlebt, ist die Wunde. Wohl in Anspielung auf die japanische Kintsugi-Technik hat Attia die Risse einer Keramikschale und eines Wandbilds gekittet – aber nicht mit Gold als Fugenmasse, sondern mit einer blutroten, über die Ränder tretenden Sub­stanz, die gar nicht daran denkt, sich ästhetisch einzufügen. Dass psychische Traumata auch etwas Wertvolles, Charakterbildendes sein können, wird manchmal von Influencern auf Youtube oder Instagram gepredigt, mit Verweis auf Kintsugi.

Viele der 26 künstlerischen Positionen in „YOYI. Care, Repair, Heal“ verneinen die Möglichkeit der Heilung und Wiedergutmachung, die im Titel der Ausstellung steht. Das ist der erste große Widerspruch. Denn der Gropiusbau und seine Förderer halten fest an ihrem Ziel, Berlin zu heilen. Sie wollen auf lange Sicht wirklich der psychischen Gesundheit ihrer Besucher und Nachbarn zuträglich sein. Für die scheidende Direktorin und Mit-Kuratorin der Ausstellung, Stephanie Rosenthal, ist es ein Projekt, das sie schon seit ihrem Amtsantritt 2018 vorbereitet hat. Rosenthal zog vier weitere internationale Kuratoren hinzu – einer ist Kader Attia –, und weil dieser zugleich der Aufenthaltsstipendiat des internationalen „Mindscapes“-Programms war, hat obendrein auch die Humboldt Universität in dem Bau Einzug gehalten und alles wissenschaftlich unterfüttert. Viel kollektiver und interdisziplinärer lässt sich eine Ausstellung gar nicht vorbereiten. Jedes thesengeleitete Werk wie etwa Attias Prothesenhimmel schwebt jetzt in Gefahr, vor dem Hintergrund der rigorosen Forschung wie ein totaler Scharlatan zu wirken.

Die Australierin Yhonnie Scarce steht, was das angeht, auf der sicheren Seite. Ihre abgründige Installation „Missile Park“ (2021) weiß etwas Unwidersprochenes. Sie führt an drei schwarzen Blechschuppen vorbei, in deren dunklem Inneren jeweils zwanzig mundgeblasene Glaskugeln mit schwarzer Bitumenfarbe aufgereiht liegen. In jedem Objekt steckt ein Fortsatz, der ein Stiel, ein Schalthebel oder eine Nabelschnur sein könnte. Außerdem spiegelt sich in jedem einzelnen Objekt der Schatten des Be­trachters im Rechteck der erleuchteten Schuppentür; das Betreten ist verboten. Dabei variieren die drei Schuppen fast überfallartig die Art und Weise, wie sie den Tisch mit den Kugeln zum Betrachter positionieren.

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Die Kunst der Narbe in Berlin: Die Wunde sitzt hoch oben

Die Kunst der Narbe in Berlin

Die Wunde sitzt hoch oben

Ist Berlin noch zu heilen? Eine psychologisch gestützte Kunstschau im Gropiusbau verneint das und versucht es zugleich.

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