COP27 in Ägypten: Was von der Weltklimakonferenz zu erwarten ist - DER SPIEGEL

2022-11-07 17:07:22 By : Ms. Wanda Chen

Klimaproteste vor Beginn der diesjährigen Weltklimakonferenz in Ägypten: Die Erwartungen an die Verhandlungen sind niedrig, schon ein Abschlussdokument wäre ein Erfolg

Jedes Jahr müssen fast 200 Länder die Klima-Karten auf den Tisch legen. In diesem Jahr treffen sie sich im ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich. Die Vorzeichen sind denkbar schlecht: Die Energiekrise, befeuert durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, treibt die Welt zurück zu fossilen Energien. Die Beziehungen zwischen den USA und China sind auf einem Tiefpunkt. Und die überraschend ehrgeizigen Versprechen der vergangenen Weltklimakonferenz haben sich nahezu in Luft aufgelöst.

Kann die diesjährige Weltklimakonferenz dennoch zum Erfolg werden? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Die Weltklimakonferenz tritt jährlich zusammen, immer in einem anderen Land. COP steht für »Conference of the Parties«, also die Konferenz der Parteien – gemeint sind jene Staaten, die die sogenannte Klima-Rahmenkonvention unterschrieben haben. Die erste COP fand 1995 in Berlin statt. Angela Merkel war damals die deutsche Verhandlungsführerin, als Umweltministerin unter Kanzler Helmut Kohl.

Dieses Jahr trifft man sich in Ägypten zum 27. Mal – daher COP27. Die Konferenz mit fast 200 Staaten beginnt am Sonntag und dauert zwei Wochen. Etwa 45.000 Menschen werden in Scharm al-Scheich erwartet, darunter Regierungsvertreter, Journalistinnen und Klimaschützer. Kommen tatsächlich so viele Menschen, wäre es die größte Weltklimakonferenz aller Zeiten.

Anfang November trifft sich die Staatengemeinschaft im ägyptischen Scharm al-Scheich zur 27. Uno-Klimakonferenz, der COP27. Lesen Sie hier alle Artikel zum Gipfel.

Die Konferenz startet von einer denkbar angespannten Ausgangslage. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die daraus resultierende Energiekrise treibt viele Staaten dazu, verstärkt auf klimaschädliche Kohle zu setzen und den Verbrauch von Sprit und Gas mit Milliarden zu subventionieren. Außerdem überschatten politische Spannungen zwischen den USA und China die Konferenz.

Lambert Schneider, der zur EU-Verhandlungsdelegation in Scharm al-Scheich gehört, hält eine Zusammenarbeit mit Russland und China dennoch für möglich. Zumindest wenn es um technische Fragen geht. »China hat die ganzen letzten Jahre auf dieser technischen Ebene konstruktiv mitverhandelt«, sagte Lambrecht bei einem Pressegespräch zum Start der COP27  .

Die Probleme könnten kaum drängender sein: Das Pariser Klimaabkommen von 2015 sieht eigentlich vor, die Erwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen oder mindestens auf deutlich unter zwei Grad. Gelingt das nicht, befürchten Klimaforscherinnen und Forscher das Überschreiten von Kippelementen  , die das Klima vollends aus dem Gleichgewicht bringen und eine ganze Kaskade unkontrollierter Kettenreaktionen auslösen könnten – ein Dominoeffekt, der sich nicht mehr aufhalten ließe.

Im Moment ist die Staatengemeinschaft weit davon entfernt, das vereinbarte Ziel zu erreichen. Laut Weltklimarat IPCC müssten dafür die weltweiten Emissionen 2025 ihren Höhepunkt erreichen und danach zügig sinken – bis 2030 um 43 Prozent im Vergleich zu 2019. Spätestens zum Start der Konferenz müssten also ehrgeizigere Klimaziele her, die viele Staaten jedoch schuldig bleiben.

Geht es so weiter, dürfte sich die Welt bis 2100 um mindestens 1,8 Grad erwärmen – und das ist schon das günstigste Szenario. Als wahrscheinlicher gilt jedoch ein Plus von 2,5 Grad, heißt es vom Uno-Klimasekretariat. Analysen des Thinktanks »Climate Action Tracker« kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Derzeit ist die Welt in keinem Bereich auf Kurs für das 1,5-Grad-Ziel, heißt es in einem aktuellen Bericht mehrerer Klima-Initiativen.

Bei der vergangenen Weltklimakonferenz in Glasgow hatten viele Länder bahnbrechende Klimaziele versprochen, ein Lippenbekenntnis wie sich nun zeigt. »Der Plan ist leider nicht aufgegangen«, sagte Niklas Höhne vom New Climate Institute Köln, der in Scharm al-Scheich dabei sein wird. »Da hat sich quasi nichts getan im letzten Jahr.«

Die Staaten haben die selbst gesetzten Fristen immer wieder gerissen. Ursprünglich sollte jedes der teilnehmenden Länder schon 2020 ehrgeizigere Klimaziele präsentieren. Wegen der Coronakrise gab es einen Aufschub bis 2021, doch selbst bis dahin legten nur 23 Staaten von fast 200 neue Pläne vor.

Die meisten Regierungen haben ihre nationalen Pläne zum Klimaschutz dagegen nicht nachgeschärft. Der Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas wird verschleppt, der Umbau von Verkehr und Landwirtschaft vernachlässigt. Vor allem China gibt dünne Versprechen: Erst 2060 will das Land mit dem mengenmäßig größten CO2-Ausstoß klimaneutral sein – zehn Jahre später als die meisten Industrienationen.

Der Staat kann die globale Erwärmung nicht allein bekämpfen. Aber er kann seine Bürger und Bürgerinnen vor den schwierigen Bedingungen der kommenden Jahre schützen. Vielerorts geschieht das schon, es gibt genug Geld und Ideen. Warum geht es dennoch so langsam voran?

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Selbst die deutsche Delegation, die eigentlich als Treiberin beim Klimaschutz gilt, kann nur mit einer durchwachsenen Klimabilanz aufwarten. Das Emissionsziel für 2021 ist verfehlt, stillgelegte Kohlekraftwerke gehen wegen der Energiekrise wieder ans Netz und die FDP drängt darauf, dass nicht mehr jeder Sektor feste Klimaziele erfüllen muss . Selbst die Klimaziele für 2030 drohen zu scheitern. »Mit einem ›Weiter so‹ werden wir die Klimaziele für das Jahr 2030 definitiv nicht erreichen«, mahnte der Expertenrat der Bundesregierung am Freitag.

Wolfgang Obergassel vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie

Und auch in anderer Hinsicht ist die COP27 eine Konferenz, die geplatzte Versprechen geraderücken soll. Die Industriestaaten haben sich eigentlich verpflichtet, ärmere Länder beim Klimaschutz zu unterstützen, bis 2020 sollte das Budget auf 100 Milliarden Dollar pro Jahr anwachsen. Tatsächlich erreicht wurden aber nur 83,3 Milliarden Dollar und es gibt Zweifel, dass das im kommenden Jahr anders sein wird. »Damit ist ein zentrales Versprechen in der internationalen Klimapolitik gebrochen worden«, sagte Wolfgang Obergassel vom Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie. Das werde die Verhandlungen belasten.

Der Bruch des 100-Milliarden-Dollar-Versprechens hat gerade ärmere Länder verprellt, der Frust ist entsprechend groß. »Es herrscht ein Mangel an Vertrauen«, sagte der Gastgeber Ägyptens Außenminister Samih Schukri vor Beginn der Konferenz.

Gastgeber Ägypten ist entschlossen, in diesem Jahr einen Agenda-Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, vor dem sich die Industrienationen bislang sträuben. Denn er könnte für sie unbezahlbar teuer werden.

Bisher machen reichere Länder Geld locker, wenn Entwicklungsländer in den Klimaschutz investieren oder sich gegen die Auswirkungen schützen. Doch wer bezahlt, wenn der Schaden angerichtet ist? Wenn Extremwetter, angeheizt vom Klimawandel, Landstriche verwüsten, Dürren Äcker unfruchtbar machen, der steigende Meeresspiegel Menschen aus ihrer Heimat treibt?

Wenn es nach den besonders betroffenen Entwicklungsländern geht, sollten die bezahlen, die hauptsächlich für den menschengemachten Klimawandel verantwortlich sind: Die Länder, die am meisten Treibhausgase in die Luft blasen. Bisher spielte das Thema der sogenannten »Loss and Damage« (übersetzt in etwa Verlust und Schaden) eine Nebenrolle, eine sehr kleine Nebenrolle noch dazu. In all den Jahren der Klimaverhandlungen gab es nie einen Fonds für klimabedingte Schäden.

Monsunregen haben im Sommer ein Drittel Pakistans unter Wasser gesetzt, mindestens 1600 Menschen starben, Millionen wurden obdachlos

Kein Wunder, es könnte ein Fass ohne Boden werden. »Insbesondere die USA sind da sehr zurückhaltend«, sagte Klimaexperte Höhne. Schließlich könne die benötigte Summe endlos sein, wenn ganze Länder nicht mehr bewohnbar sind. Allein die Monsunregen, die im Sommer ein Drittel Pakistans unter Wasser setzten und mindestens 1600 Menschen das Leben kosteten, verursachten Schäden von zehn Milliarden Dollar. Deutschland kostet der Klimawandel im Schnitt etwa 6,6 Milliarden Euro pro Jahr, schätzt das Prognos-Institut.

Entwicklungsländer drängen darauf, die Frage des Loss und Damage kurzfristig auf die Agenda zu setzen. Schon am ersten Tag der Konferenz droht also ein Streit losbrechen, worüber überhaupt verhandelt werden soll. Es wäre deshalb bereits ein Erfolg, wenn die Industrienationen das Thema nicht abschmettern, zu konkreten Zusagen dürften sie sich aber nicht hinreißen lassen.

»Wir müssen uns klarmachen, was so eine Konferenz überhaupt leisten kann«, sagte Obergassel. Schließlich könne jedes Land souverän über die eigenen Klimaziele entscheiden. Dass die Staaten aber jedes Jahr gezwungen werden, Rechenschaft über ihre Klimaschutzpläne abzulegen und so das Thema Klimaschutz wieder ganz oben auf die politische Agenda zu katapultieren, sei schon ein Erfolg. »Das allerwichtigste wäre für mich, dass die Konferenz das Thema Klimaschutz wieder an Nummer 1 setzt, vor die Energiekrise«, sagte auch Höhne.

Angesichts der Ausgangslage haben viele ihre Erwartungen an den Gipfel heruntergeschraubt. Eigentlich soll auch am Ende dieser Konferenz ein Abschlussdokument stehen, in dem die Staatengemeinschaft darlegt, wie sie das 1,5-Grad-Ziel erreichen will. Doch selbst das könnte platzen. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock wirkt ernüchtert. Gefragt, welches Minimalziel die Bundesregierung bei der Weltklimakonferenz erwartet, antwortete die Grünen-Politikerin: »Dass sie stattfindet.«

Mit Material von dpa und AFP.

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